Michaela Melián ist Rolandpreisträgerin 2018

Der Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum 2018 geht an die Künstlerin Michaela Melián, die 1956 geboren wurde und in München und Hamburg lebt.

Die Jury der Stiftung Bremer Bildhauerpreis begründet ihre Entscheidung wie folgt:

„Der Rolandpreis geht in diesem Jahr an Michaela Melián, die als eine der ersten den virtuellen Raum als Ort für künstlerische Interventionen besetzt hat. Neben Zeichnungen, mit der Nähmaschine genähten Bildern, Installationen sowie Musikstücken ist eines ihrer Hauptarbeitsfelder der öffentliche Raum. Michaela Melián ist bildende Künstlerin, Hörspielmacherin, Solo-Musikerin und Mitglied der Gruppe FSK. So vielfältig ihre Interessen, so breit angelegt sind ihre Themenfelder: Körper- und Geschlechterverhältnisse, Erinnerungspolitik und die deutsche Geschichte. In ihrem formal und medial breit angelegten Werk setzt sich Melián immer wieder mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. 

Bei ihren Projekten im Stadtraum nutzt sie zahlreiche Medien: neben fast schon klassischen Formen wie Installationen, Aktionen und Wandbild sind dies das Hörspiel, die Lesung historischer Texte sowie Sound im Radio und Internet. Mit dieser Vielfalt an Medien erweitert sie den realen öffentlichen Raum um den virtuellen Raum. Insbesondere mit ihren individuell über das Mobiltelefon im Münchner Stadtraum akustisch abrufbaren „Memory Loops“ (kurzen biografischen, nachgesprochenen Interviews) verbindet sie reale Orte mit ihrer Historie, persönliche Schicksale mit einer Rezeption am Ort des Geschehens.

Migration, Judenverfolgung und die NS-Gewaltherrschaft sind wichtige Themen in Meliáns Oeuvre. Ausgehend von intensiven historischen Recherchen, der Sichtung, Bearbeitung und Transformation von Zeugnissen und Informationen schafft die Künstlerin, innovative Formen und Formate zu diesen wichtigen gesellschaftlichen Themen und entwickelt dabei eine neue Gedenkkultur. 

Michaela Melián gelingt es außerdem, mit ihrer musikalischen und popkulturellen Ästhetik auch jüngere Menschen anzusprechen.“

Roland Preis Bremen Michaela Melian
Foto: Jens Weyers

Gedenkort Ulrichsschuppen
Michaela Melian, 2024

Die sog. Ulrichsschuppen- benannt nach dem Geschäftsmann Ulrichs, der die Schuppen Anfang des 20. Jahrhunderts für seine Speditionsgeschäfte bauen ließ – dienten in der Zeit von 1942 bis zum Ende des Weltkrieges als Internierungs- und Zwangsarbeiterlager für französische und später auch sowjetische Kriegsgefangene, die in den Bremer Häfen Zwangsarbeit leisten mussten. Das Lager am Bremer Holz- und Fabrikenhafen im Bereich der Revaler Strasse / Memeler Strasse in Walle ist in einer Evakuierungsliste der Gestapo vom Juni 1944 aufgeführt. Diese Liste enthält über 200 Internierungslager, davon allein 40 im Bremer Westen, Die exakte Zahl der Zwangsarbeit:innen und Zwangsarbeiterunterkünfte in Bremen ist bis heute unbekannt. Schätzungen gehen von bis zu 75.000 Menschen aus, darunter auch Kriegsgefangene und KZ -Häftlinge.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das Internierungslager wie so vieles aus dieser Zeit in Vergessenheit und wurde wieder als Schuppen genutzt. Durch die persönlichen Kontakte ehemaliger sowjetischer und französischer Kriegsgefangen mit friedenspolitisch engagierten Bremerinnen und Bremer und ihren Berichten wurden 1989 Wandzeichnungen in den beiden Schuppen entdeckt, die von französischen Kriegsgefangenen vermutlich 1942/43 gezeichnet wurden. Die 13 Wandzeichnungen, die über das Leben im Lager erzählen, wurden geborgen und sind nun in verschiedenen Einrichtungen, darunter dem Bremer Staatsarchiv, dem Landesamt für Denkmalschutz und dem Hafenmuseum im Speicher XI, gesichert und ausgestellt.

In der Folgezeit sind es vor allem die Historikerinnen um das digitale Bremer Heimatarchiv im Kulturhaus Walle gewesen, die zur Zwangsarbeit im Bremer Hafen und speziell zu den Ulrichsschuppen weiter recherchierten und dafür sorgten, dass deren Geschichte dem öffentlichen Gedächtnis der Stadt nicht verloren ging.

2018 erwarb die Braker Firma J. Müller Weser GmbH und Co KG die alten Schuppen, um sie abzureißen und auf dem Gelände Container zu lagern. Es wurde öffentlich die Frage gestellt, wie es durch ein Kunstwerk gelingen kann, die Spuren der Gewaltgeschichte an diesem Ort sichtbar zu machen und nicht einfach auszuradieren, wenn der Ort an die heutigen wirtschaftlichen Bedürfnisse wird.

Michaela Melian hatte im gleichen Jahr 2018 den Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum zugesprochen bekommen. Die Künstlerin setzt sich neben vielen anderen Themen mit gesellschaftlich relevante Fragen wie die der deutschen Geschichte und ihrer Erinnerungskultur auseinander. Sie nutzt für ihre Projekte vielfältige Medien. Neben klassischen Formen der Installation, Aktionen und Wandbild präsentiert sie das Hörspiel, liest historische Texte und integriert Sound im Radio wie auch das Internet in ihre Werke. Michaela Melians Vorgehen ist dabei immer zunächst das einer Forscherin, einer Sammlerin von Fakten, einer Rechercherin von Bezügen und vergessenen Zusammenhängen. Dabei wird sie von einem außerordentlichen Gespür für Inhalte, vernachlässigte Bezüge, unbemerkte Querverbindungen, unterschwellige Konnotationen geleitet. Mit ihrem Interesse an unbekannten oder vernachlässigten Zusammenhängen hebt sie übersehene Ebenen wieder hervor. Sie verschafft marginalisierten Personen, Fakten, Orten in Gesellschaft und Geschichte neue Sichtbarkeit.

Auch die Spuren der Gewaltgeschichte im Getreide-und Fabrikhafen sind heute nicht mehr sichtbar und mit dem Abriss der Ulrichsschuppen ist ein letzter Verweis darauf verloren gegangen. Im Wissen, wie Michaela Melian arbeitet, haben wir als Stiftung Bremer Bildhauerpreis sie gefragt, ob sie sich vorstellen kann, sich mit dem Thema künstlerisch zu befassen.
Das von ihr entwickelte Kunstwerk liegt nun genau an der Stelle, an der sich einer der Ulrichschuppen befunden hatte. Die Firma J.Müller war ohne Zögern bereit, die Idee des Kunstwerkes mitzutragen und Teile ihres Grundstückes dafür zur Verfügung zu stellen. Eine originale Eingangsfassade wurde von ihr im Maßstab 1:1 wiederhergestellt, allerdings nicht vertikal, sondern horizontal auf den Boden gelegt. Die Ziegeln entsprechen dem alten Reichsformat, wie sie beim ursprünglicheen Bau der Schuppen verwendet wurden. Umgeben ist dieser Ort von hoch aufgetürmten Containern, die zur flach auf dem Boden liegenden Fassade einen sinnfälligen Kontrast bilden und über heutige Nutzung erzählen. Die auf dem Boden liegende Fassade markiert den verschwundenen Ort. Ein Hinweisschild vernetzt den interessierten Betrachter über einen QR Code mit anderen Orten, an denen über die komplexe Geschichte der Ulrichsschuppen und der Zwangsarbeit in den Bremer Häfen im zweiten Weltkrieg informiert wird.

digitales-heimatmuseum.de/gedenkort-lager-ulrichsschuppen/
Kulturhaus Walle Brodelpott